einblick in die welt eines spamers

Urs

Legendäres Mitglied
quelle: facts.ch

ich publizier den artikel hier obwohl er recht lange ist. finde ihne interessant.

gruss urs

QUOTE Der Müll-Millionär



Spam-König Richard Colbert: Stationiert ist seine Unterkunft zwischen Hunderten von anderen schmalen Campern.

Wer verschickt all die E-Mails, die günstige Ferien, billige Kredite oder einen grösseren Penis versprechen? Wie viel verdienen die Spammer daran? Und wie kommen sie an unsere Adressen? Richard Colbert, ein Meister seines Fachs, gibt intime Einblicke in ein ungeliebtes Metier.


Jack Hitt

«Hier klicken», diktiert mein Mentor. Er deutet auf den Bildschirm. «Und jetzt auf dieses File mit E-Mail-Adressen klicken.» Ich bin von einem Meister seines Fachs zu einem Spamming- Kurs eingeladen worden: Hier soll ich lernen, wie ich Millionen von unerwünschten E-Mails übers Internet in alle Welt verschicken kann, um für alles Mögliche zu werben – von spottbilligen Krediten bis hin zu leichten Mädchen.





«Jetzt gehen wir mal online und laden einige Programme runter», sagt mein Lehrmeister, ein gewisser Richard Colbert. Im Rokso – dem «Register of Known Spam Operations » (einer Art Verbrecherliste fürs Internet, die auf der Antispam-Webseite spamhaus.org publiziert wird) – fällt das Urteil über Colbert sehr hart aus: «Betrügerischer Nonstop-Spammer, wurde von unzähligen Hosts und Internetprovidern rausgeschmissen.»

Der 31-jährige Colbert präsentiert sich in blauen Shorts und einem violetten T-Shirt, das dunkelblonde Haar unter eine Basketballmütze gesteckt. Auffallend sind zudem sein Diamant-Ohrring und die leicht näselnde Stimme, die seine Herkunft aus Atlanta verrät. Er zündet sich eine Menthol- Zigarette an, während er mir sein Computerzimmer zeigt – ein enger Raum, angebaut an ein blauweiss gesprenkeltes Wohnmobil, das auch nicht mehr das neuste ist. Stationiert ist Colberts Unterkunft zwischen Hunderten von anderen schmalen Campern und Wohnwagen in einem Trailerpark in Fort Lauderdale, Florida.

Colbert behauptet, er nehme im Moment eine Auszeit als Spammer. Aber er verfolgt die Szene sehr genau und denkt darüber nach, wieder ins Geschäft einzusteigen. Und jetzt hat er sich bereit erklärt, mir beizubringen, auf welchen verschlungenen Pfaden tagtäglich unzählige E-Mails in meine Mailbox gelangen. Wer sind die Kerle, die sie schicken? Wer heuert sie an? Wie kommen sie zu den legitimen E-Mail-Adressen? Und kann die Flut von E-Mails durch neue Gesetze überhaupt gestoppt werden?

Um es vorwegzunehmen: Colbert denkt nicht gleich über Spam wie Sie und ich. Zum Beispiel spricht er von «Massen-E-Mails» und nicht von Spam. Für ihn ist dieses Phänomen bloss einer von vielen interessanten neuen Märkten, die das Internet bietet. Und Colbert ist fasziniert von diesen Möglichkeiten: Immer wieder unterbricht er sich selbst, um sein Gegenüber über irgendeinen genialen Trick aufzuklären – eine neue Geschäftsmöglichkeit, die ihm eben aufgegangen ist. «Das sind Dockers-Shorts», sagt er und deutet auf seine Hosen. «Ich hab sie über Ebay gekauft. Das Hemd ist von Tommy Hilfiger, Ebay. Die Schuhe? Nike, ebenfalls Ebay.»

Colbert und ich durchstöbern das Internet, bis ich unter seiner Anleitung eine Software finde, mit der ich Massen-E-Mails verschicken kann. Solche Software ist weit verbreitet und an sich völlig legal. Professionelle Archäologen oder auch Schachfans verwenden sie zum Beispiel, um eine Online- Gruppe zu bilden, damit sie chatten oder Informationen austauschen können.

Aber schon taucht ein Problem auf. Die Software, die wir ausgesucht haben, verlangt eine Registrierung oder will bezahlt werden. Colbert lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen: Er hat genau diese Software, nur ganz leicht abgeändert, schon mal verwendet, als er mit andern Spammern arbeitete, die ganz in der Nähe wohnen. Also schnappt er sich das Telefon und ruft einen dieser Nachbarn zu Hilfe. Kurze Zeit später sind wir wieder im Geschäft. Offensichtlich leben ungewöhnlich viele Spammer entlang der Strände nördlich von Miami.

Der Handel mit Spamlisten
Laut Steve Linford, dem Betreiber der Rokso- Liste, gibt es einen guten Grund, weshalb so viele Spammer dort stranden: «In Boca Raton hatten Investitionsbetrügereien mit Aktien ihren Ursprung. Und hier liessen auch die Telemarketing-Firmen ihre Angestellten schuften.» Die Immobilienspekulanten, die die ersten Städte Floridas auf Flugsand und sinkendem Sumpfland erbauten, wurden in den Achtziger- und Neunzigerjahren von Abzockern vertrieben, die ihr Geld mit Telefonbetrügereien und Dauerwerbesendungen machen wollten. Sie wiederum wurden von den jetzigen Profiteuren abgelöst: den Absendern von Massen-EMails übers Internet.

Wie kommt ein Spammer überhaupt in den Besitz einer Million funktionierender E-Mail-Adressen? Am einfachsten geht das mit Listen, die man übers Internet kaufen kann. Aber es gibt natürlich auch andere, günstigere Methoden. Eine davon ist ein so genannter Wörterbuchangriff, doziert Colbert. Dabei wird eine Lawine von computergenerierten potenziellen E-Mail-Adressen losgeschickt (Arnie1@hotmail. com, Arnie2@ hotmail.com, Arnie3@hotmail.com …) und getestet, welche davon tatsächlich existieren. Ein anderes nützliches Werkzeug ist eine so genannte Spider-Software: ein Programm, das wie eine Spinne durch Internetseiten krabbelt und dabei Ausschau nach dem verräterischen @ hält. Wenn das Programm einen Affenschwanz ausfindig macht, wird der Teil rechts und links davon ganz einfach kopiert und bingo: Schon hat man eine funktionierende E-Mail-Adresse.

Die Software überlisten
Ein guter Trick gegen Spam ist deshalb, die eigene E-Mail-Adresse im Internet immer als Arnie at hotmail.com oder ArnieREMOVETHIS@ hotmail.com anzugeben. Ein menschlicher Betrachter merkt bei beiden Versionen, was gemeint ist. Software hingegen ist in so einem Fall hilflos.

Und so sitze ich nun also vor Richards Computer und bereite mich darauf vor, mein erstes Spam loszuschicken. Ich hänge eine Datei mit E-Mail-Adressen und einen Brief an die Software, und schon ist mein Spam bereit. Um das Ganze zumindest ansatzweise legal zu halten, enthält meine Nachricht nur fröhliche Festtagsgrüsse. Am Ende des E-Mails befindet sich ein Link zu einer von Colberts Webseiten.

Dann tut die Software das ihre, und schon flitzen meine Nachrichten durch den Cyberspace. Das Programm kontrolliert, welche E-Mails zurückkommen, und vermerkt ihren Status in einer Tabelle. Über automatische «Out of office»-Meldungen freut sich Colbert speziell: «Die haben wir besonders gern. Sie bestätigen, dass die Adresse aktiv ist.» Nach nur gerade sechs Minuten habe ich über einen Computer, der mit einer regulären Telefonleitung verbunden ist, 1000 E-Mails verschickt.

Und das ist einer der attraktiven Aspekte für Spammer: Wer Spam verschicken will, braucht nicht mal das eigene Wohnmobil zu verlassen. Man muss auf der Suche nach Kunden keine Türklinken putzen und auch an keiner Jahresversammlung teilnehmen. Das Geschäft lässt sich wunderbar auf den eigenen Arbeitsplatz beschränken. Und wie findet ein Spammer Kunden, die ihn engagieren wollen? Über Spam natürlich!

Colbert ging früher auf Kundenfang, indem er das AOL-Mitgliederverzeichnis durchforstete. Viele der 35 Millionen AOLMitglieder füllen bei ihrem Beitritt viel sagende Online-Profile aus, wo sie ihre Interessen und Aktivitäten angeben. Colbert wertete diese Profile aus und machte AOL so zu einer ergiebigen Quelle von Kontakten. Indem er «Geschäftsmöglichkeit» oder «Multilevel-Marketing» eingab, konnte er seine Suche einschränken und so jene kleinen Händler ausfindig machen, die an seinem Angebot interessiert sein könnten. Und dann deckte er sie alle mit Spam ein und stellte ihnen seine Geschäftsidee vor.

«Auf 100'000 E-Mails erhielt ich jeweils etwa 100 Rückmeldungen», erzählt Colbert. Diesen Interessenten schrieb er persönlich zurück und fragte sie nach dem Werbetext, den sie als Massen-E-Mail verschickt haben wollten. Dann erläuterte er seine Preiskalkulation: 300 Dollar für 100'000 E-Mails oder 900 Dollar für eine Million Adressen. Von 100 Leuten, die sich über seine persönliche Strategie informieren wollten, kam er normalerweise mit zwei bis fünf tatsächlich ins Geschäft. Eine ziemlich erbärmliche Erfolgsquote, könnte man meinen – in jedem anderen Markt wäre 0,005 Prozent schlicht ruinös. Aber nur schon diese eine Suche nach Spam-Kunden brachte Colbert bis zu 14'000 Dollar ein.

Colbert erzählt, wie er seine Computer jeweils auf «Senden» stellte und damit Millionen von E-Mails in der Warteschlange losschickte. Dann ging er zu Bett, überliess das Geldmachen den Maschinen. «Ich hatte neun Computer, verbunden mit fünf leistungsstarken DSL-Leitungen mit einer Übertragungskapazität von 500 K pro Sekunde und Computer. Das bedeutet eine Million E-Mails pro Stunde und Computer, neun Millionen pro Stunde an einem guten Tag.»

Bei seinen Kunden handelte es sich normalerweise um kleine Unternehmer oder Internetprovider, die irgendwo am Rande der Online-Wirtschaft tätig sind: Firmen, die Kräuterzusätze vertreiben oder supergünstige Finanzdienstleistungen anbieten. Manchmal erhielt er aber auch von grösseren und angeseheneren Firmen einen Spam-Auftrag – Namen will er allerdings keine nennen. Er räumt aber ein, dass er in einem solchen Fall immer die «saubersten» Listen verwendete, um die Flut von Reklamationen einzudämmen, die ein Unternehmen nach einem Spam-Angriff normalerweise erhält.

Was die Bezahlung angeht, setzte Colbert stets strikt auf das Altbewährte: «Kreditkarten habe ich nie akzeptiert.» Er bestand jeweils darauf, per Zahlungsauftrag oder Scheck bezahlt zu werden. Die Risiken einer Bezahlung per Kreditkarte fand er zu gross: «Wenn die Kunden nicht die erhoffte Reaktion erhalten, dann machen sie die Bezahlung oft rückgängig.»

Die Profite werden kleiner
Laut Colbert werden die meisten Spammer pauschal bezahlt, wobei die Tarife gesunken sind. Noch vor fünf Jahren konnte das obere Drittel der Spammer Online-Marketingfirmen aufbauen und danach für Millionen Dollar verkaufen. In der Blütezeit des Spamming war dieser Geschäftsbereich ebenso aufgeblasen wie derjenige der Technologie- Aktien. Aber auch jetzt, da diese Blase geplatzt ist, lassen sich mit Spamming noch immer ganz nette Gewinne erzielen. «Ich habe in zehn Monaten 130'000 Dollar abgeräumt », verrät Colbert. «So gut habe ich überhaupt noch nie verdient.» Jetzt, da immer mehr Akteure auf den Plan treten, werden die Profite allerdings kleiner. «Neuerdings wird Spam zu mickrigen 25 Dollar für eine Million Adressen angeboten», beklagt sich Colbert. «Man kann zwar immer noch Geld damit machen, aber man arbeitet viel mehr für viel weniger.»

«Schlechte» Spam-Mails – betrügerischer Inhalt, irreführende Links, anonyme Porno-Mailings – können nur ausgemerzt werden, wenn eine legitime Form von kommerziellem Spam abgesegnet wird. Für diese Art von Spam müssten dann Standards festgelegt werden, so etwa genaue und funktionierende Absender-Angaben, damit man auch tatsächlich mit dem Absender in Kontakt treten kann, wenn man «Antworten» anklickt. Bei den meisten Massen- E-Mails sind die Absender-Angaben nämlich gefälscht. Die Mails werden zudem über verschiedene Computer umgeleitet, so dass der Spammer unsichtbar wird. Daneben müsste jedes legitime Spam auch einen funktionierenden «Entfernen»-Link aufweisen, so dass der Empfänger seine Adresse ganz einfach von der Verteilerliste des Spammers löschen kann. Unter diesen Voraussetzungen sollten legitime Spammer laut Colberts Plan Kunden an Land ziehen dürfen. Und Polizisten, die sich momentan mit Spam beschäftigen, könnten ihre Zeit wieder darauf verwenden, echte Verbrecher zu jagen.

Bill Waggoner, ein anderer Spammer, ist zum gleichen Schluss gekommen. «Spam ist Betrug», sagt der Teilzeit-Heavymetal- Musiker und Talkradio-Moderator. Er ist laut Rokso «einer der zehn Top-Spammer der Welt» und betreibt seine Geschäfte von Las Vegas aus. Waggoner behauptet, dass all seine Massen-E-Mails sauber sind – was bedeutet, dass sie eine richtige «Antworten»- Adresse und einen funktionierenden Link zur Entfernung der E-Mail-Adresse haben und dass sie legitime Waren und Dienstleistungen anbieten. Ich konnte mir nicht verkneifen, Waggoner darauf aufmerksam zu machen, dass er die Werbetrommel für eine Kräuterpille zur Penisvergrösserung rührt und dies auch öffentlich zugegeben hat.

«Das ist kein Betrug», wehrt er sich. «Wenn das Betrug wäre, dann würde die Firma kein Geld damit verdienen.» Gerade wollte ich etwas näher auf diese nun doch etwas eigenwillige Definition von Betrug eingehen, als er zu seiner Verteidigung schnell hinzufügte: «Die Pille zur Penisvergrösserung ist im Übrigen das einzige Sex- Produkt, das ich verkaufe.»

In Colberts Wohnmobil frage ich meinen Spammer-Guru, ob er nervös sei, jetzt, da der Kongress ein paar berühmte Spammer öffentlich hängen wolle. Hat er nicht Angst, dass man ihm bald einen orangen Overall und Fussfesseln verpassen und ihn zur Hauptsendezeit als prominenten Gefangenen vorführen wird? «Der Kongress ist voller Idioten», erwidert er kurz und bündig. Seiner Meinung nach bringt es nichts, wenn man ein paar Drahtzieher ins Visier nimmt. Die Politiker können so zwar ihren Bekanntheitsgrad steigern, aber dafür treiben sie kleinere Spammer noch tiefer in den Untergrund. «Die Spammer werden einfach noch geschicktere Praktiken anwenden, damit sie weiterhin aktiv sein können», meint er. Wird er also wieder ins Geschäft einsteigen? Colbert weicht einer direkten Antwort aus. Dann aber geht er zu einem Aktenschrank hinüber und zieht eine CD heraus. «Auf dieser CD sind 200 Millionen E-Mail-Adressen gespeichert », sagt er und klingt dabei wie jemand, der darauf brennt, nochmals auf «Senden» zu klicken. Ich frage ihn nach seinem alten System – den neun Festplatten mit der superschnellen Verbindung, von wo aus in einer Stunde Millionen von E-Mails verschickt werden können. Machen ihn die geplanten Gesetze nicht nervös? Will er wirklich Geld in den Wiederaufbau seiner Infrastruktur investieren?

Die Frage nach seinen Investitionen scheint Colbert ziemlich zu amüsieren. Während die späte Nachmittagssonne den Strand von Boca in ein goldenes Licht taucht, zündet er sich eine weitere Menthol-Zigarette an und nimmt einen tiefen Zug. Dann deutet er unter seinen Arbeitstisch auf seine neuste Errungenschaft: eine zweite Festplatte – genau das, was er braucht, um ein neues Netzwerk aufzubauen. «Ein Dell Pentium 233», sagt er. «Ich hab ihn für 15 Dollar bekommen, plus 23.95 Dollar Versandkosten. » Der kleine Raum füllt sich langsam mit Rauch. «Ebay», verkündet er mit einem breiten Grinsen.

© 2003 The New York Times Magazine
 
Sehr interessanter Artikel. Ich habe mir übrigens die Printversion gekauft. Da hat's noch schöne Föteli drin...

Der Artikel zeigt doch immer wieder, wie wahr der Satz "Eye of the Beholder" ist. Denn schliesslich sehen sich die Spamer ja eben nicht als Spamer.
 
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